XKeyscore – und nun?

Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Wir werden flächendeckend überwacht (und zwar nicht nur auf Ebene der Meta- oder Verdindungsdaten, sondern auch nahezu alle Inhaltsdaten), unsere Geheimdienste kooperieren dabei mit der NSA und wir wurden somit von ihnen und der Regierung belogen. Aber der Reihe nach.

Seit einigen Tagen ist die nächste Steigerung im NSA-Überwachungsskandal unter dem Namen XKeyscore publik geworden. Ein Werkzeug, das teilweise zur Sammlung von Verbindungsdaten genutzt wird, aber unter dem Strich deckt es „fast alles ab, was ein typischer Nutzer auf dem Internet macht“. Und diese Informationen werden natürlich gespeichert und automatisiert ausgewertet.

So kann es passieren, dass man Besuch von einer bewaffneten Anti-Terror-Truppe bekommt, nur weil man nach den falschen Begriffen gesucht hat. Dass es bei dem in den Artikeln thematisierten Ehepaar keinerlei weitere Verdachtsmomente gebraucht hat, um sie einem strengen Verhör zu unterziehen und dass dieses Vorgehen wohl Routine ist, wird hierzulande kaum thematisiert. Dennoch zeigt dieses Beispiel sehr gut, wohin die Reise gehen wird: Ein falscher digitaler Schritt, eine ungünstige Konstellation von Suchbegriffen und/oder E-Mail-Inhalten und schon werden Rechner und Wohnung durchsucht, sieht man sich einem Terrorverdacht ausgesetzt.

Selbst wenn sich die Polizisten ansonsten korrekt verhalten, ist dies ein enormer Eingriff in die Privatsphäre von unbescholtenen Bürgern und wird dazu führen, dass man sich in Zukunft zweimal überlegen muss, welche Seiten man besucht und nach welchen Begriffen man im Internet sucht. Doch auch unter der Polizei gibt es regelmäßig schwarze Schafe, die ihre Befugnisse weit überschreiten und teilweise völlig unangebrachtes Verhalten an den Tag legen (so wurden erst kürzlich US-Polizisten enttarnt, die bei Verkehrskontrollen auch gleich den Genitalbereich der angehaltenen Fahrerin mituntersuchten). Wenn so etwas bei einer Wohnungsdurchsuchung passiert, dann kann der Besuch der Behörden erniedrigend und demütigend werden und stellt damit alleine eine Drohung dar, die bereits dazu geeignet ist, das Verhalten eines Menschen zu ändern, um bloß nicht auffällig zu werden.

Doch damit nicht genug. Entgegen allen bisherigen Beteuerungen der deutschen Geheimdienste und der Bundesregierung, man wisse von nichts, ist nun publik geworden, dass eine intensive Zusammenarbeit von BND und Verfassungsschutz mit der NSA im Rahmen von XKeyscore stattfindet. Das ganze vorhergehende Theater war natürlich Augenwischerei, man bezog sich bei Dementis ausdrücklich auf PRISM dessen Namen man möglicherweise tatsächlich nicht gekannt hat. Ansonsten verfolgt die Bundesregierung die allseits beliebte Salamitaktik: immer nur das zugeben, was sich nicht mehr verheimlichen lässt.

Vor diesem Hintergrund wirkt es besonders beunruhigend, dass aus den US-amerikanischen Dokumenten, die Snowden veröffentlicht hat, hervorgeht, dass die deutsche Regierung nicht nur williger Kooperationspartner war, sondern möglicherweise sogar von den Geheimdiensten manipuliert wurde:

„Der BND hat daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen, dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen“, notierten NSA-Mitarbeiter im Januar. Im Lauf des Jahres 2012 habe der Partner sogar „Risiken in Kauf genommen, um US-Informationsbedürfnisse zu befriedigen“.

Es soll also das Gesetz, das die Regeln, in wieweit das Brief- und Fernmeldegeheimnis in Deutschland (Art. 10 GG) eingeschränkt werden darf (G-10-Gesetz), anders ausgelegt worden sein, um mehr Daten an die NSA liefern zu dürfen. Na wunderbar. Offenbar leistet unsere Regierung also Beihilfe bei dem größten Grundrechtsbruch in der bundesdeutschen Geschichte. Nun wird dokumentiert, warum sie sich so bedeckt hält.

Eigentlich ist die Sache sehr einfach: offensichtlich werden unsere Grundrechte in einem unglaublichen Ausmaß von Regierungen und Geheimdiensten gebrochen; alles, was aktuell stattfindet, geht weit über die durch das Bundesverfassungsgericht als widerrechtlich kassierte Vorratsdatenspeicherung hinaus. Doch ernstzunehmende Konsequenzen gibt es keine. Das Thema scheint zu kompliziert für die breite Masse zu sein. Hier sind die Straßen nicht voll von Demonstranten wie seinerzeit bei Zensursula. Das Ausmaß scheint so unfassbar zu sein, dass nach meinem Eindruck die meisten Menschen mit Ohnmacht und Resignation reagieren. Oder mit verschiedenen Emotionsstufen bis hin zum Ekel. Ja, das beschreibt es wohl ganz gut. Ekel… und Ratlosigkeit.

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