Geheimdienstmitarbeiter mit Kopfhörern?

Innenminister Friedrich hat den nächsten Volltreffer gelandet:

Derzeit gebe es in der öffentlichen Diskussion die Vorstellung, „da säßen irgendwo Tausende von Amerikanern und würden unsere Mails lesen und unsere Telefone abhören“, sagte Friedrich bei einer Sicherheitskonferenz mit sächsischen Unternehmern in Riesa. „Das ist eine völlig unsinnige Vorstellung, was man da den Leuten erzählt.“ Ziel sei vielmehr eine strategische Aufklärung: Nach den Worten von Friedrich filtern die Nachrichtendienste die Kommunikation lediglich.

Selbstverständlich ist das eine völlig unsinnige Vorstellung! Wie viele Geheimdienstmitarbeiter würde man wohl brauchen, um monatlich allein in Deutschland ca. 500 Millionen Gespräche abzuhören bzw. Kurzmitteilungen oder E-Mails zu lesen?

Was tatsächlich passiert ist wesentlich schlimmer. Alle Informationen werden automatisiert ausgewertet und nach Mustern durchsucht. Natürlich lässt sich diese Analyse als Filterung beschreiben: Die Nachrichten werden nach bestimmten Schlüsselwörtern oder anderen Auffälligkeiten untersucht; die Metadaten der Kommunikation werden exakt erfasst und ausgewertet. Diese Art der Auswertung ist jedoch wesentlich bedrohlicher, da sie einerseits erschreckend effizient funktioniert und andererseits durchaus fehleranfällig ist (Beispiel: Andrej Holm).

Die Grenzen der Analyse und Speicherung der Daten liegen lediglich in der technischen Machbarkeit. In den USA wird ein gigantisches Rechenzentrum für die NSA gebaut, mit dem die Speicher- und Rechenkapazität dramatisch ausgeweitet werden. Die britische Überwachungseinrichtung des GCHQ folgt von Anfang an dem Full Take-Ansatz (Tempora): Alle Informationen, die durch ein bestimmtes Transatlantikkabel laufen, werden für mindestens drei Tage vollständig gespeichert – und zwar jedes einzelne Bit! Mehr ist offenbar technisch aktuell nicht machbar. Verbindungsdaten (Metadaten) werden von diesem System übrigens mindestens 30 Tage vorgehalten.

Der Eindruck, die Speicherung und Auswertung der Metadaten wären weniger bedenklich als die der Inhaltsdaten, täuscht. Metadaten sind stark strukturierte und standardisierte Informationen, die sich extrem einfach und performant auswerten lassen. Dazu gehört u.a.:

  • Wer kommuniziert mit wem?
  • Wann und wie lange?
  • Wie oft?
  • Von welchen Orten aus wird kommuniziert?
  • Welches Mobilgerät (z.B. Mobiltelefon) hält sich zu welchem Zeitpunkt wo auf?

Alleine diese Informationen verraten enorm viel über den einzelnen Menschen und können zu einer sehr detaillierten Profilbildung herangezogen werden. Aus diesen Profilen wird versucht, mit Hilfe von statistischen Funktionen bestimmte Voraussagen zu treffen: Wird diese Person einen Terroranschlag oder ein Verbrechen begehen? Wie immer bei statistischen Verfahren gibt es auch hier eine gewisse Fehlerquote (α- oder β-Fehler). Doch wer glaubt an statistische Zufälle, wenn ein System einen Menschen als Terrorist markiert? Der Fall von Khaled el-Masri zeigt, wie schnell das gehen kann.

Friedrich reiht sich also mit der oben stehenden Aussage wunderbar hinter unseren Bundespräsidenten ein, der sich Vergleiche zwischen Stasi und der NSA verbat:

„Wir wissen zum Beispiel, dass es nicht so ist wie bei der Stasi und dem KGB, dass es dicke Aktenbände gibt, in denen unsere Gesprächsinhalte alle aufgeschrieben und schön abgeheftet sind. Das ist es nicht.“

Natürlich ist es das nicht! Eine Auswertung von OpenDataCity zeigt, welche Fläche die Aktenschränke der NSA einnehmen würden, wenn sie tatsächlich die Ausdrucker aller bei ihnen vorgehaltenen Informationen beinhalten würden. Im Vergleich dazu wird das Stasi-Archiv lächerlich unbedeutend.

Auch Merkel besteht (zu Recht!) darauf, dass die Überwachung durch die NSA und die Stasi nicht vergleichbar sind. Allerdings trifft sie diese Aussage, um die US-amerikanische Überwachung zu rechtfertigen:

„Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, und solche Vergleiche führen nur zu einer Verharmlosung dessen, was die Staatssicherheit mit Menschen in der DDR angerichtet hat.“

Dass die Verharmlosung in die andere Richtung geht, zeigt ein Blick in die Statistik:

Die Stasi fertigte aus 1,2 Millionen Telefonaten, die sie im Jahr 1985 in der DDR, außerhalb von Berlin aufgezeichnet hatte, gerade mal 11 000 Berichte an.

Die NSA erfasst dagegen täglich 15 Millionen Telefongespräche und 10 Millionen Internetverbindungen allein in Deutschland. (ebd.)

Die Strategie der Regierung ist also offenkundig das Treffen von Aussagen, die zwar inhaltlich zu einem guten Teil richtig sind (vgl. Friedrich), aber natürlich dazu führen sollen, dass ein völlig falscher Eindruck der Situation entsteht. Das Ausmaß der stattfindenen Überwachung ist beispiellos und in höchstem Maße demokratiegefährdend. Die USA haben zu keinem Zeitpunkt versucht, die an die Öffentlichkeit gekommenden Maßnahmen zu leugnen – im Gegenteil haben sie bisher alle Informationen von Snowden bestätigt und versuchen dringend, seiner habhaft zu werden. Aussagen von Uhl, er würde nicht an die Enhüllungen glauben, sind vor diesem Hintergrund bestenfalls lächerlich.

Und dann kommt plötzlich Otto Schily wieder aus der Versenkung gekrochen und versucht ebenfalls, die Überwachung zu verharmlosen und mit dem Schutz vor Terrorismus zu begründen. Die Furcht vor der Überwachung trage „wahnhafte Züge“. Nur zur Erinnerung: Schily ist der ehemalige Innenminister, der in seiner Amtszeit die Überwachungsbefugnisse gegenüber Ärzten, Anwälten und Journalisten ausdehnen wollte und die biometrischen Ausweisdokumente eingeführt hat und anschließend zu der Firma SAFE ID Solutions AG, die elektronische Reisepässe herstellt, auf eine Aufsichtsratsposition gewechselt ist. Dazu gibt es glaube ich nichts weiter zu sagen.

Wichtig ist es insgesamt die Fakten zu sehen und das System der Überwachung zu verstehen, dem wir tagtäglich ausgesetzt sind. Die Ablenkungsmanöver hochrangiger Politiker dienen im Wesentlichen dazu, sich selbst und die eigenen Partei aus der Schusslinie zu nehmen und die Datensammlung weiterhin aufrechtzuhalten. Diesen gegen unsere Verfassung verstoßenden Begehrlichkeiten muss weiterhin entgegengewirkt werden.

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