Der internationale Überwachungsskandal hat ein neues Kapitel erreicht. Unser Innenminister Friedrich hat die USA bereist und ist mit einer Menge Beschwichtigungen zurückgekommen. Die Überwachung wäre erstens nicht so schlimm, sei zweitens durch amerikanisches (!) Recht gedeckt und drittens hätte sie auch bei uns fünf (in Europa insgesamt 25) Terroranschläge verhindert. Wobei, das mit den Terroranschlägen, da ist er sich dann doch nicht mehr so sicher; vielleicht waren es ja doch nur zwei. Oder weniger. Und bei mindestens einem von ihnen („Sauerland-Gruppe“) war die CIA irgendwie involviert.
Diesem Minister, der die nach unserem Rechtsverständnis völlig inakzeptable Totalüberwachung (selbst unsere dagen als harmlos erscheinende Vorratsdatenspeicherung ging viel zu weit) durch eine ausländische Supermacht nicht nur toleriert, sondern auch noch rechtfertigt, haben wir zwei extrem verantwortungsvolle Aufgaben übertragen: den Schutz unserer Verfassung und unserer Telekommunikation. Und er hat bei beidem hoffnungslos versagt.
Und nun, als die Kritik schier überwältigend wird, versucht Friedrich eine Art Kehrtwende, er fordert die deutschen Bürger auf, sich selbst besser zu schützen und Verschlüsselungstechniken sowie *hust* Virenschutz einzusetzen. Ich möchte diese Sache mit dem Virenschutz einfach mal überhört haben. Da spricht wohl nur jemand, der von der Materie nichts versteht. Aber anmerken möchte ich der Stelle noch, dass Friedrich noch im April die Überwachung in Deutschland selbst massiv ausweiten wollte.
Obwohl seine Aussage, dass technischer Selbstschutz notwendig ist, im Kern richtig ist, ist sie aus seinem Mund unfassbar weit daneben: Wir haben mit unserer Verfassung dem deutschen Staat (zu Recht) das Gewaltmonopol übertragen. Dieses muss er einsetzen, um die Grundrechte seiner Bürger zu schützen. Dazu gehört neben einem Recht auf Menschenwürde auch das Recht auf Unversehrtheit, auf Sicherheit und Freiheit. Ein gutgemeinter Ratschlag reicht an dieser Stelle nicht aus!
Ja, ich schließe meine Haustüre ab, wenn ich ausgehe und achte auch darauf, dass meine Fenster geschlossen sind. Dennoch erwarte ich von dem Staat, dass Einbrecher verfolgt und bestraft werden. Denn dieser hat das Gewaltmonopol und ist dafür mitverantwortlich, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen mein Eigentum geschützt wird.
Oder drastischer formuliert: Ist ein Staat wünschenswert, in dem der Innenminister einem rät, eine Waffe zu tragen, damit man sich vor Überfällen schützen kann? Führt dies nicht genau in ein System aus Selbstjustiz, Brutalität und Chaos? Haben wir nicht das Recht, eine Waffe zu tragen und selbst Straftaten zu ahnden genau aus diesem Grund exklusiv auf den Staat übertragen?
Genau wie in diesen beiden Beispielen hat der Innenminister dafür zu sorgen, dass die deutschen Bürger nicht von einem ausländischen Staat überwacht werden. Wir können auch unseren Teil dazu beitragen; dennoch müssen Maßnahmen ergriffen werden. Wo sind die Untersuchungen der deutschen Telekommunikationsinfrastruktur auf Abhöreinrichtungen? Wo wird deutlich gemacht, dass U.S.-amerikanische Abhöreinrichtungen auf deutschem (idealerweise auf europäischem) Boden keinen Platz haben? Wird in Berlin der U.S.-amerikanische Botschafter einbestellt und ihm mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen oder zumindest der freundschaftlichen Zusammenarbeit gedroht? Es wäre ja sogar ein Fortschritt, wenn wir aufhören würden, den USA unsere Fluggastdaten frei Haus zu liefern. Doch an Stelle von Taten äußert sich lediglich eine Reihe von Politikern aus den Reihen der Union auf einmal sehr positiv gegenüber dem Datenschutz (Friedrich, Seehofer, Uhl [1][2]) – und glaubt, damit sei die Sache erledigt.
Und damit seine Position nicht komplett wie ein von der Macht der USA und der Empörung des deutschen Volkes hin-und-her-geworfener Schlingerkurs wirkt, schiebt Friedrich tags darauf nach, das zwar Datenschutz wichtig ist, aber die Sicherheit nun mal ein „Supergrundrecht“ sei und deswegen höher als alle anderen Grundrechte einzustufen wäre. Also auch höher als die Würde des Menschen? Dies ist nach meiner Auffassung das Supergrundrecht und von diesem leitet sich alles andere ab oder ordnet sich alles andere unter. Folgte man Friedrichs Logik, so wäre es legitim, jeden Deutschen in Einzelhaft zu nehmen, damit ihm nichts zustieße. Denn die Freiheit hat sich ja der Sicherheit unterzuordnen.
Tja, und wie sieht es eigentlich mit anderen Beteiligten an der Affäre aus? Wie äußern die sich?
- Was sagt unser Außenminister Westerwelle dazu? Immerhin ist er für die Beziehungen zu anderen Ländern verantwortlich. Nichts, er macht sich nur Sorgen um ein Freihandelsabkommen mit den USA.
- Was sagt der Chef des Bundeskanzleramts, Pofalla, dazu? Er ist gleichzeitig auch Beauftragten der Bundesregierung für die Nachrichtendienste. Nichts, er ist wohl im Urlaub.
- Und unsere Kanzlerin Merkel? Sie hat sich in all den Wochen noch zu keiner Stellungnahme durchringen können und antwortet lediglich belanglos und inhaltsleer auf entsprechende Fragen.
Es drängt sich die Vermutung auf, dass für die genannten Personen das Thema gerade vor der Wahl viel zu heiß ist als dass sie sich hier festlegen würden. Lieber den Kopf unten halten, damit man nicht in die Kritik geraten kann. So klappt es dann vielleicht auch im September mit einer Wiederwahl und weiteren vier Jahren Rumgeeier.